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Donnerstag, 16. Oktober 2008
Feuer am Berg
maldonado, 22:19h
Es war ziemlich kalt. Der Einsiedler saß am Feuer vor seiner Hütte. Eine leichte Brise trug den Rauch davon. In einem verbeulten Topf köchelte eine Suppe mit geschälten Kartoffeln, ein paar Möhren und sonstigem Grünzeug. Der Einsiedler streckte seine grindigen Hände dem Feuer entgegen und rieb sie ab und zu, als ob er sie waschen wollte.
Ein Wanderer, salopp gekleidet, grüßte höflich und bat: „Erzähl mir vom Feuer!“
„Ja, das Feuer“, murmelte der Alte, das Sprechen viel ihm schwer, hob seine trüben Augen und rieb erneut seine Hände, „kocht und wärmt.“
„Ist schon mühsam“, fuhr er nach einer langen Pause fort, „bis es brennt, wenn das Holz feucht ist und wenn die Zünder immer weniger werden, bekommst du auch Angst. Aber wenn es brennt, bin ich glücklich.“
„Und wenn es brennt, fürchtest du dich nicht mehr?“, störte der Wanderer des Alten Glückseligkeit.
Der Alte blickte mit seinen trüben Augen durch die Äste hinaus, ins weite Tal hinab und murmelte weiter: „Früher schon, als ich noch da unten war. Ich hatte überall die roten Feuerlöscher, in der Küche, am Gang, im Schlafzimmer, in der Garage, überall.“
„Auch im Schlafzimmer“, fragte der Wanderer erstaunt.
„Ja, auch im Schlafzimmer, ich habe Tag und Nacht geraucht und da kann es auch im Schlafzimmer brennen.“
„Wie schrecklich“, entfuhr es dem Wanderer. Es blieb offen, was für ihn so schrecklich war, das Rauchen oder das Feuer im Schlafzimmer, wahrscheinlich beides.
„Und wenn die Feuerwehr ausrückte mit ihren blauen Lichtern und dem schrecklichen Lärm, dann fürchtete ich mich noch mehr.“
„Und jetzt fürchtest du dich nicht mehr? Ich darf doch du sagen? Ich heiße Theobald.“
„Ein schöner Name. Ich heiße Matthias, aber die Leute sagen Hias zu mir. Gefragt haben sie mich nie, ob mir das auch gefällt. Gefallen hat es mir nie.“
„Armer Alter“, dachte Theobald, „lassen ihm nicht einmal seinen Namen.“ Gesagt hat er es nicht.
„Und jetzt fürchtest du dich nicht mehr, Matthias?“
Da begannen des Alten Augen zu leuchten, wischte sich die Tränen aus der Nase in den speckigen Ärmel. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann zum letzten Mal jemand zu ihm Matthias gesagt hat, streckte Theobald beide Hände entgegen und murmelte: „Magst was essen?“
„Gern“, sagte Theobald, obwohl er keinen Hunger hatte, setzte sich zu ihm ins feuchte Gras und dachte: „Wird schon wieder trocken werden die Hose und der Arsch.“
Matthias stützte sich mit einer Hand auf der Erde ab und streckte im Zeitlupentempo das gegenüber liegende Bein. Nach der erfolgreichen Auferstehung humpelte er in die Hütte und kam nach einer ziemlich langen Pause mit zwei Tellern und zwei Löffeln wieder heraus. Das Email der Teller war an den Rändern nicht mehr ganz und auch die Löffel hatten ihren Glanz längst verloren, aber alles war sauber, die Teller und die Löffel. „Das wird wohl genügen“, dachte Theobald, ließ sich nur einen halben Teller Suppe geben und löffelte mit sichtlichem Wohlbehagen.
„Vergelt’s Gott, Matthias, hat sehr gut geschmeckt“ und es war sogar ehrlich und kein billiges Höflichkeitskompliment.
„Hat mich sehr gefreut, hatte schon lange keinen Gast, kommst du wieder?“
„Ja, und wenn ich darf, bringe ich Dir Zünder mit.“
Da begann der Alte wieder zu weinen. Die Tränen suchten ihren Weg nicht mehr nur durch die Nase, sondern kollerten auch über die zerfurchten Wangen. Er legte seinen Kopf an die breiten Schultern von Theobald und schluchzte: „Ich hab auch einen Sohn, aber der besucht mich nicht, jetzt bist du mein Sohn.“
Da musste auch Theobald mit den Tränen kämpfen, brachte sie aber einigermaßen unter Kontrolle.
„Ich will dich nicht quälen, Matthias, wenn du magst, erzähl mir von deinem Sohn.“
„Ja, der gute Lukas, er war arbeitslos, da ist er ausgewandert, ich weiß nicht wohin und auch nicht, ob er noch lebt.“
„Und deine Frau, hattest du eine Frau?“
„Ja“
Und er begann wieder zu weinen.
„Und wo ist sie jetzt?“
„Ich bring ihr zum Geburtstag, Namenstag und am Hochzeitstag Blumen auf den Friedhof da unten im Tal.“
Dann sagten sie lange, sehr lange nichts. Worüber man nicht reden kann, muss man schweigen.
Vorsichtig begann Theobald wieder über das Feuer zu sprechen: „Vor diesem Feuer da fürchtest du dich nicht? Oder hast du einen Feuerlöscher?“
„Nein, ich brauche keinen Feuerlöscher mehr, ich lösch es selber.“
„Heute auch?“
„Ja, auch heute, bevor ich schlafen geh.“
„Dann musst du es morgen wieder anmachen, was ja gar nicht so einfach ist, hast du gesagt.“
„Ja, mein Gott, mühsam ist es schon, aber es ist mir so lieber, dann brauch ich mich in der Nacht nicht fürchten, wenn ein Wind kommt oder so, weist du, die Angst bringt dich um.“
„Da hast du recht, das versteh ich, Angst ist ein ganz schlechter Ratgeber, das weiß ich auch vom Bergsteigen.“
„Ist das auch gefährlich, das Bergsteigen? Ich bin da nie hinauf, hätte nicht gewusst, was ich machen soll, da oben.“
„Machen tu ich auch nichts da oben, nur schauen.“
„Das versteh ich nicht, schauen kann ich da herunten auch, aber ich muss ja nicht alles verstehen.“
„Matthias, ich möchte dich ja nicht hinauflocken und schon gar nicht hinauf schleppen. Wer da herunten genug zum Schauen hat, der muss nicht hinauf. Ich muss hinauf.“
„Ist gut, wenn du musst, dann sollst du auch, aber ist es gefährlich? Ich habe Angst um dich.“
„Das brauchst du nicht, wenn man mit dem Berg so behutsam umgeht wie du mit deinem Feuer, dann ist er nicht gefährlich.“
„Aber, wenn ein Gewitter kommt, hast du keine Hütte und Höhlen werden ja auch nicht überall sein.“
„Ja, Matthias, das Wetter muss man schon genau beobachten und für den Notfall habe ich einen Biwaksack.“
„Zeigst du mir deinen Biwaksack?“
Theobald holte den Biwaksack aus dem Rucksack und kroch hinein.
Da war Matthias sehr erleichtert: „Was du alles hast. Wie die Schnecken, die haben auch das Haus immer dabei. Immer wenn ich eine Schnecke sehen werde, werde ich an dich denken.“
Dann packte ihn wieder die Angst: „Theobald, wenn du wieder herunterkommst, besuchst du mich? Wenn du kommst, dann weiß ich, dass dir nichts passiert ist.“
„Ja, Matthias, ich werde dich besuchen.“
„Versprichst du mir das?“
Theobald änderte seinen Routenplan und versprach es.
Der Wind war etwas stärker geworden. Die Prügel glühten, waren aber schon weit heruntergebrannt. Sie hatten gegessen, aber es war noch kühler geworden. Matthias schob einen neuen etwas kürzeren Prügel hinein, stocherte so lange, bis er ganz von der Glut umgeben war. Beim Heizen war er Profi, der Matthias. Die Füße, Bäuche, Brüste und die hell erleuchteten Gesichter waren mehr als angenehm warm, ihre Rücken fröstelten dagegen. Matthias drehte sich um, dann auch Theo. Sie hatten die Köpfe gesenkt und die Dämmerung begann sie einzuhüllen.
„Das Feuer ist ein Geschenk des Himmels“, nahm der Alte den Faden wieder auf.
„Du sagst, des Himmels, meinst Du etwa Gott, glaubst Du an Gott?“
„Welchen meinst du? Jahwe, Allah, Zeus, Merkur, Augustus, Wotan? Welchen meinst du?“
Überrascht fragte Theobald zurück: „Was, die kennst du alle?“
Matthias ziemlich gereizt: „Was glaubst du? Ich bin auch in die Schule gegangen und gelesen habe ich auch einmal.“
„Entschuldige, ich staune nur.“
„Nun, und welchen meinst du?“
„Ich gebe ja zu, dass sich die Menschen seit urdenklichen Zeiten Bilder machten und diese für Götter hielten und noch immer bevölkern ganze Heerscharen von Göttern den Himmel. Ich persönlich halte mich eher an Jahwe, den Vater Jesu.“
„Ist mir auch sehr sympathisch. Gesehen hab ich ihn allerdings nicht und gesprochen hat er auch noch nicht zu mir, ich habe zumindest nichts gehört. Es hat Zeiten gegeben, in denen ich ihn zu hören glaubte, aber dann kamen wieder die Zweifel, ob es nicht doch die eigene Sehnsucht, mein eigener Wunsch, es möge ihn geben, meine eigenen Gedanken seien. Ich weiß es nicht. Aber dass es irgendetwas gibt, was im Feuer oder hinter dem Feuer, meinetwegen auch vor dem Feuer ist, was nicht das Feuer selbst ist, das spüre ich schon. Weißt du, Theobald, woher das Feuer kommt?“
Und wieder war Theo überrascht, dass der Alte plötzlich so viel sprach, setzte zu einer Antwort an und brach wieder ab. Er hatte einiges über Atome, Elektronen, von Einstein, Energie und Materie, vom Magma und Tsunami und anderen unzähligen Katastrophen, vom Riesenatomreaktor Sonne gehört, Sonnenfeuer, hatte auch den Schöpfungsbericht gelesen, aber …
„Lieber Matthias, ich weiß viel, aber lange nicht alles, freuen wir uns darüber, dass es ist, wie es ist. Die Geschichte mit Gott, mein Gott, wenn Gott der Jahwe ist und er so ist, wie man uns von ihm erzählt, freue ich mich, ihn einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wir werden es erwarten können.“
„Und vor dem Höllenfeuer fürchtest du dich nicht?“
„Nein, Matthias, vor dem fürchte ich mich nicht.“
„Und warum nicht? Ich schon.“
„Schau, Matthias, ich habe gerade gesagt, wenn er so ist, wie man uns von ihm erzählt hat, freue ich mich. Da wird er mich doch nicht in die Hölle stecken wollen. Ich habe gewiss viel Scheiße gebaut. Vieles davon hätte ich besser machen können, gar keine Frage, aber wirklich böse wollte ich nie sein. Sehr oft konnte ich gar nicht anders. In einer unheilen Welt vollkommen sein zu wollen, das wäre, wie Gott sein zu wollen, genau das soll ja das Schlimmste sein.“
„Ja, wenn das so ist, dann fürchte ich mich auch nicht mehr.“
Dann schwiegen sie wieder lange. Es war ganz dunkel geworden, nur das Feuer hinter ihrem Rücken flackerte und warf zittrige Schatten von ihnen in das feuchte Gras. Gespenstisch? Nein, schön.
„Und wenn es keinen Gott gibt?“, begann Mattl wieder zu fragen.
„Dann können wir auch nichts machen. Was sollen wir uns mit Fragen quälen, auf die es keine Antworten gibt? Ich meine, wir sollten uns über diesen Abend freuen.“
„Ja, freuen wir uns“, sagte Mattl ganz zufrieden und legte seine Hand auf den Arm des Freundes.
Sie drehten sich wieder zum Feuer, damit auch ihre Vorderseiten wieder erwärmt werden.
„Theo“, begann Mattl wieder zu bohren, „warum fügen sich die Menschen so Fürchterliches zu? Meinem Bruder hat es im Sperrfeuer des letzten Krieges den Bauch zerfetzt. Er hat geschrieen bis er nicht mehr konnte. Mir haben sie da unten das Haus versteigert, weil ich Schulden machen musste, um für meine Frau die Ärzte bezahlen zu können. Das war die Hölle. Jetzt weißt du auch, warum ich mich vor der Hölle fürchte.
Wieder wurden seine Augen wässrig. Er putzte sich die schnupfende Nase, diesmal mit dem anderen Ärmel.
Theo schwieg. Hat es darauf je eine Antwort gegeben? Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, sagten schon die Römer. Und die Geschichte von Kain und Abel hat es auch in sich. Und erst die modernen Kriege: Bomben, Granaten, Hitler, Stalin, Hiroschima, Kambodscha, Srebenica, der 11. September und, und … Schlag und Gegenschlag, Sperrfeuer und Gegenfeuer.
„Matthias, ich finde keine Antwort, aber wir haben unser Feuer, das Feuer der Liebe, der Himmel ist dort, wo sich die Menschen lieb haben.“
„Dann ist er ja da, Theo.“
„Ja, Matthias.“
Sie löschten gemeinsam das Feuer vor der Hütte. Die harten Pritschen in der Hütte waren diese Nacht ihr Himmelreich.
Nächsten Morgen umarmten sie sich lange. Theo ging auf seinen Berg und Mattl sah ihm nach, bis er keinen Zipfel mehr von ihm erspähen konnte. Mittags stieg ein riesiges Gewitter auf. Feuer fiel vom Himmel.
Am Abend entzündete Mattl mit seinem letzten Streichholz das Feuer der Liebe vor seiner Hütte und wartete lange, sehr lange auf Theo.
Den Rest seiner Tage und Nächte träumte er vom Wiedersehen mit seinem Sohn, seiner Frau und seinem letzten Freund. Seine Hoffnung war unsterblich.
Ein Wanderer, salopp gekleidet, grüßte höflich und bat: „Erzähl mir vom Feuer!“
„Ja, das Feuer“, murmelte der Alte, das Sprechen viel ihm schwer, hob seine trüben Augen und rieb erneut seine Hände, „kocht und wärmt.“
„Ist schon mühsam“, fuhr er nach einer langen Pause fort, „bis es brennt, wenn das Holz feucht ist und wenn die Zünder immer weniger werden, bekommst du auch Angst. Aber wenn es brennt, bin ich glücklich.“
„Und wenn es brennt, fürchtest du dich nicht mehr?“, störte der Wanderer des Alten Glückseligkeit.
Der Alte blickte mit seinen trüben Augen durch die Äste hinaus, ins weite Tal hinab und murmelte weiter: „Früher schon, als ich noch da unten war. Ich hatte überall die roten Feuerlöscher, in der Küche, am Gang, im Schlafzimmer, in der Garage, überall.“
„Auch im Schlafzimmer“, fragte der Wanderer erstaunt.
„Ja, auch im Schlafzimmer, ich habe Tag und Nacht geraucht und da kann es auch im Schlafzimmer brennen.“
„Wie schrecklich“, entfuhr es dem Wanderer. Es blieb offen, was für ihn so schrecklich war, das Rauchen oder das Feuer im Schlafzimmer, wahrscheinlich beides.
„Und wenn die Feuerwehr ausrückte mit ihren blauen Lichtern und dem schrecklichen Lärm, dann fürchtete ich mich noch mehr.“
„Und jetzt fürchtest du dich nicht mehr? Ich darf doch du sagen? Ich heiße Theobald.“
„Ein schöner Name. Ich heiße Matthias, aber die Leute sagen Hias zu mir. Gefragt haben sie mich nie, ob mir das auch gefällt. Gefallen hat es mir nie.“
„Armer Alter“, dachte Theobald, „lassen ihm nicht einmal seinen Namen.“ Gesagt hat er es nicht.
„Und jetzt fürchtest du dich nicht mehr, Matthias?“
Da begannen des Alten Augen zu leuchten, wischte sich die Tränen aus der Nase in den speckigen Ärmel. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann zum letzten Mal jemand zu ihm Matthias gesagt hat, streckte Theobald beide Hände entgegen und murmelte: „Magst was essen?“
„Gern“, sagte Theobald, obwohl er keinen Hunger hatte, setzte sich zu ihm ins feuchte Gras und dachte: „Wird schon wieder trocken werden die Hose und der Arsch.“
Matthias stützte sich mit einer Hand auf der Erde ab und streckte im Zeitlupentempo das gegenüber liegende Bein. Nach der erfolgreichen Auferstehung humpelte er in die Hütte und kam nach einer ziemlich langen Pause mit zwei Tellern und zwei Löffeln wieder heraus. Das Email der Teller war an den Rändern nicht mehr ganz und auch die Löffel hatten ihren Glanz längst verloren, aber alles war sauber, die Teller und die Löffel. „Das wird wohl genügen“, dachte Theobald, ließ sich nur einen halben Teller Suppe geben und löffelte mit sichtlichem Wohlbehagen.
„Vergelt’s Gott, Matthias, hat sehr gut geschmeckt“ und es war sogar ehrlich und kein billiges Höflichkeitskompliment.
„Hat mich sehr gefreut, hatte schon lange keinen Gast, kommst du wieder?“
„Ja, und wenn ich darf, bringe ich Dir Zünder mit.“
Da begann der Alte wieder zu weinen. Die Tränen suchten ihren Weg nicht mehr nur durch die Nase, sondern kollerten auch über die zerfurchten Wangen. Er legte seinen Kopf an die breiten Schultern von Theobald und schluchzte: „Ich hab auch einen Sohn, aber der besucht mich nicht, jetzt bist du mein Sohn.“
Da musste auch Theobald mit den Tränen kämpfen, brachte sie aber einigermaßen unter Kontrolle.
„Ich will dich nicht quälen, Matthias, wenn du magst, erzähl mir von deinem Sohn.“
„Ja, der gute Lukas, er war arbeitslos, da ist er ausgewandert, ich weiß nicht wohin und auch nicht, ob er noch lebt.“
„Und deine Frau, hattest du eine Frau?“
„Ja“
Und er begann wieder zu weinen.
„Und wo ist sie jetzt?“
„Ich bring ihr zum Geburtstag, Namenstag und am Hochzeitstag Blumen auf den Friedhof da unten im Tal.“
Dann sagten sie lange, sehr lange nichts. Worüber man nicht reden kann, muss man schweigen.
Vorsichtig begann Theobald wieder über das Feuer zu sprechen: „Vor diesem Feuer da fürchtest du dich nicht? Oder hast du einen Feuerlöscher?“
„Nein, ich brauche keinen Feuerlöscher mehr, ich lösch es selber.“
„Heute auch?“
„Ja, auch heute, bevor ich schlafen geh.“
„Dann musst du es morgen wieder anmachen, was ja gar nicht so einfach ist, hast du gesagt.“
„Ja, mein Gott, mühsam ist es schon, aber es ist mir so lieber, dann brauch ich mich in der Nacht nicht fürchten, wenn ein Wind kommt oder so, weist du, die Angst bringt dich um.“
„Da hast du recht, das versteh ich, Angst ist ein ganz schlechter Ratgeber, das weiß ich auch vom Bergsteigen.“
„Ist das auch gefährlich, das Bergsteigen? Ich bin da nie hinauf, hätte nicht gewusst, was ich machen soll, da oben.“
„Machen tu ich auch nichts da oben, nur schauen.“
„Das versteh ich nicht, schauen kann ich da herunten auch, aber ich muss ja nicht alles verstehen.“
„Matthias, ich möchte dich ja nicht hinauflocken und schon gar nicht hinauf schleppen. Wer da herunten genug zum Schauen hat, der muss nicht hinauf. Ich muss hinauf.“
„Ist gut, wenn du musst, dann sollst du auch, aber ist es gefährlich? Ich habe Angst um dich.“
„Das brauchst du nicht, wenn man mit dem Berg so behutsam umgeht wie du mit deinem Feuer, dann ist er nicht gefährlich.“
„Aber, wenn ein Gewitter kommt, hast du keine Hütte und Höhlen werden ja auch nicht überall sein.“
„Ja, Matthias, das Wetter muss man schon genau beobachten und für den Notfall habe ich einen Biwaksack.“
„Zeigst du mir deinen Biwaksack?“
Theobald holte den Biwaksack aus dem Rucksack und kroch hinein.
Da war Matthias sehr erleichtert: „Was du alles hast. Wie die Schnecken, die haben auch das Haus immer dabei. Immer wenn ich eine Schnecke sehen werde, werde ich an dich denken.“
Dann packte ihn wieder die Angst: „Theobald, wenn du wieder herunterkommst, besuchst du mich? Wenn du kommst, dann weiß ich, dass dir nichts passiert ist.“
„Ja, Matthias, ich werde dich besuchen.“
„Versprichst du mir das?“
Theobald änderte seinen Routenplan und versprach es.
Der Wind war etwas stärker geworden. Die Prügel glühten, waren aber schon weit heruntergebrannt. Sie hatten gegessen, aber es war noch kühler geworden. Matthias schob einen neuen etwas kürzeren Prügel hinein, stocherte so lange, bis er ganz von der Glut umgeben war. Beim Heizen war er Profi, der Matthias. Die Füße, Bäuche, Brüste und die hell erleuchteten Gesichter waren mehr als angenehm warm, ihre Rücken fröstelten dagegen. Matthias drehte sich um, dann auch Theo. Sie hatten die Köpfe gesenkt und die Dämmerung begann sie einzuhüllen.
„Das Feuer ist ein Geschenk des Himmels“, nahm der Alte den Faden wieder auf.
„Du sagst, des Himmels, meinst Du etwa Gott, glaubst Du an Gott?“
„Welchen meinst du? Jahwe, Allah, Zeus, Merkur, Augustus, Wotan? Welchen meinst du?“
Überrascht fragte Theobald zurück: „Was, die kennst du alle?“
Matthias ziemlich gereizt: „Was glaubst du? Ich bin auch in die Schule gegangen und gelesen habe ich auch einmal.“
„Entschuldige, ich staune nur.“
„Nun, und welchen meinst du?“
„Ich gebe ja zu, dass sich die Menschen seit urdenklichen Zeiten Bilder machten und diese für Götter hielten und noch immer bevölkern ganze Heerscharen von Göttern den Himmel. Ich persönlich halte mich eher an Jahwe, den Vater Jesu.“
„Ist mir auch sehr sympathisch. Gesehen hab ich ihn allerdings nicht und gesprochen hat er auch noch nicht zu mir, ich habe zumindest nichts gehört. Es hat Zeiten gegeben, in denen ich ihn zu hören glaubte, aber dann kamen wieder die Zweifel, ob es nicht doch die eigene Sehnsucht, mein eigener Wunsch, es möge ihn geben, meine eigenen Gedanken seien. Ich weiß es nicht. Aber dass es irgendetwas gibt, was im Feuer oder hinter dem Feuer, meinetwegen auch vor dem Feuer ist, was nicht das Feuer selbst ist, das spüre ich schon. Weißt du, Theobald, woher das Feuer kommt?“
Und wieder war Theo überrascht, dass der Alte plötzlich so viel sprach, setzte zu einer Antwort an und brach wieder ab. Er hatte einiges über Atome, Elektronen, von Einstein, Energie und Materie, vom Magma und Tsunami und anderen unzähligen Katastrophen, vom Riesenatomreaktor Sonne gehört, Sonnenfeuer, hatte auch den Schöpfungsbericht gelesen, aber …
„Lieber Matthias, ich weiß viel, aber lange nicht alles, freuen wir uns darüber, dass es ist, wie es ist. Die Geschichte mit Gott, mein Gott, wenn Gott der Jahwe ist und er so ist, wie man uns von ihm erzählt, freue ich mich, ihn einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wir werden es erwarten können.“
„Und vor dem Höllenfeuer fürchtest du dich nicht?“
„Nein, Matthias, vor dem fürchte ich mich nicht.“
„Und warum nicht? Ich schon.“
„Schau, Matthias, ich habe gerade gesagt, wenn er so ist, wie man uns von ihm erzählt hat, freue ich mich. Da wird er mich doch nicht in die Hölle stecken wollen. Ich habe gewiss viel Scheiße gebaut. Vieles davon hätte ich besser machen können, gar keine Frage, aber wirklich böse wollte ich nie sein. Sehr oft konnte ich gar nicht anders. In einer unheilen Welt vollkommen sein zu wollen, das wäre, wie Gott sein zu wollen, genau das soll ja das Schlimmste sein.“
„Ja, wenn das so ist, dann fürchte ich mich auch nicht mehr.“
Dann schwiegen sie wieder lange. Es war ganz dunkel geworden, nur das Feuer hinter ihrem Rücken flackerte und warf zittrige Schatten von ihnen in das feuchte Gras. Gespenstisch? Nein, schön.
„Und wenn es keinen Gott gibt?“, begann Mattl wieder zu fragen.
„Dann können wir auch nichts machen. Was sollen wir uns mit Fragen quälen, auf die es keine Antworten gibt? Ich meine, wir sollten uns über diesen Abend freuen.“
„Ja, freuen wir uns“, sagte Mattl ganz zufrieden und legte seine Hand auf den Arm des Freundes.
Sie drehten sich wieder zum Feuer, damit auch ihre Vorderseiten wieder erwärmt werden.
„Theo“, begann Mattl wieder zu bohren, „warum fügen sich die Menschen so Fürchterliches zu? Meinem Bruder hat es im Sperrfeuer des letzten Krieges den Bauch zerfetzt. Er hat geschrieen bis er nicht mehr konnte. Mir haben sie da unten das Haus versteigert, weil ich Schulden machen musste, um für meine Frau die Ärzte bezahlen zu können. Das war die Hölle. Jetzt weißt du auch, warum ich mich vor der Hölle fürchte.
Wieder wurden seine Augen wässrig. Er putzte sich die schnupfende Nase, diesmal mit dem anderen Ärmel.
Theo schwieg. Hat es darauf je eine Antwort gegeben? Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, sagten schon die Römer. Und die Geschichte von Kain und Abel hat es auch in sich. Und erst die modernen Kriege: Bomben, Granaten, Hitler, Stalin, Hiroschima, Kambodscha, Srebenica, der 11. September und, und … Schlag und Gegenschlag, Sperrfeuer und Gegenfeuer.
„Matthias, ich finde keine Antwort, aber wir haben unser Feuer, das Feuer der Liebe, der Himmel ist dort, wo sich die Menschen lieb haben.“
„Dann ist er ja da, Theo.“
„Ja, Matthias.“
Sie löschten gemeinsam das Feuer vor der Hütte. Die harten Pritschen in der Hütte waren diese Nacht ihr Himmelreich.
Nächsten Morgen umarmten sie sich lange. Theo ging auf seinen Berg und Mattl sah ihm nach, bis er keinen Zipfel mehr von ihm erspähen konnte. Mittags stieg ein riesiges Gewitter auf. Feuer fiel vom Himmel.
Am Abend entzündete Mattl mit seinem letzten Streichholz das Feuer der Liebe vor seiner Hütte und wartete lange, sehr lange auf Theo.
Den Rest seiner Tage und Nächte träumte er vom Wiedersehen mit seinem Sohn, seiner Frau und seinem letzten Freund. Seine Hoffnung war unsterblich.
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